Gedanken zum Jubiläum, über Kunst-machen und über die Situation der Künstler/Künstlerinnen heute

Eröffnung Jubiläumsausstellung 75 Jahre AKM Koblenz am 7.10.2023, Matthias Strugalla

Sie kennen / Ihr kennt alle die legendäre Fernsehsendung „Verstehen Sie Spaß?“ Analog könnte man fragen: Verstehen Sie Kunst? Verstehen Sie etwas von Kunst? Oder auch: von den psychischen oder philosophischen Aspekten von Kunst?

Der Blick in die Ausgaben einschlägiger Kunstzeitschriften und -Magazinen läßt mich da eher verstört und mit gemischten Gefühlen zurück. Da wiederholen sich Schlagworte und Statements, viele schlaue und manche hohle Worte oder um das, was Schreibt, Kuratoren und natürlich auch Künstler unter Kunst verstehen wollen. Wie existenziell die Kunst für die Kunstschaffenden wirklich ist, das Suchen, das Machen, das Ringen, kommt da wenig zur Sprache.

Und: wie kriegt man all die diversen Kunstäußerungen, Ideen, Konzepte, Stile, Handschriften, Verfahren unter ein Dach? Unter den einen umfassenden und gültigen Begriff KUNST? Ich selber war lange, u.a. geprägt durch das Studium der Kunstgeschichte, der Meinung zu wissen, was Kunst sei.

Angesichts der totalen Öffnung der Kunstströmungen nach dem 2. Weltkrieg und den Entwicklungen in den folgenden Jahrzehnten konnte ich das Wort KUNST nur noch als Arbeitsbegriff verwenden. Alles und jedes schien möglich, alle Wahrheiten die Kunst betreffend wurden über den Haufen geworfen, natürlich auch um sich von den unheilvollen ideologischen Vereinnahmungen durch den Nationalsozialismus zu emanzipieren. Und neue geistige, mediale und auch materielle Dimensionen wurden erschlossen – das alles verbunden mit Verunsicherungen, Provokationen, Konflikten, Eitelkeiten. Und da mittendrin die Gründung der AKM als Künstlergemeinschaft vor 75 Jahren.

Die Offenheit gegenüber den unterschiedlichen Kunstäußerungen, der Respekt und die herzliche Verbundenheit untereinander gelten bis heute. Die Personen und Gesichter, darunter viele herausragende Künstlerpersönlichkeiten, haben sich im Laufe der Jahrzehnte geändert, Ideen und Konzepte für professionelle Qualität in der Kunst sind geblieben.

Gerungen wird immer noch um handwerkliche Perfektion (die kann man lernen), um die spannendsten Kompositionen (das kann man auch lernen), um die richtigen Inhalte (die sind notgedrungen individuell verschieden) und um die schlüssige und überzeugende Verbindung von Form und Inhalt, dem künstlerischen Streben nach adäquatem Einsatz zur Verfügung stehender Mittel.

Gelungene Ergebnisse/Werke schaffen beim Erzeuger Zufriedenheit und Genugtuung. Aber: professionelles Kunstschaffen bedeutet auch, von der eigenen Kunst leben zu können. 75 Jahre AKM sind 75 Jahre Bemühen um Sichtbarkeit, um Räume, Galerien, Museen, Medien zu finden für das Zeigen der Werke und für den Austausch mit dem interessierten Publikum – das ist existenziell!. Kunst als Medium der Kommunikation.

Da jedoch zeigt sich immer wieder eine deutliche Diskrepanz zwischen den Wünschen und Erwartungen der Künstler und Künstlerinnen und der tatsächlichen Resonanz. Mit viel Herzblut konzipierte und realisierte Ausstellungen werden nur wenig oder ungenügend wahrgenommen, und nur wenige Künstler und Künstlerinnen können von ihren Verkäufen leben. Allen institutionalisierten Bemühungen und Förderungen zum Trotz, den Künstlern und Künstlerinnen hier im Lande geht es heute nicht besser als In den vergangenen Jahrzehnten.

Im Folgenden sollen ein paar Aspekte zur Situation der professionell Kunstschaffenden heute genannt werden („kleine Bestandsaufnahme“).

Da ist die digitale Bilderflut, und da sind die sogenannten sozialen Medien, die originale Kunstwerke an den Rand drängen oder komplett überflüssig machen. Die Bereitschaft, sich länger und intensiver auf ein Werk einzulassen – wie lange arbeiten die Künstler und Künstlerinnen eigentlich daran? – schwindet bekanntlich immer mehr. Wie es mit der KI weitergehen wird, ist noch nicht auszumachen, sie ist in jedem Fall, wenn nicht eine Bedrohung, eine neue und massive Herausforderung, die diskutiert werden muß.

Große Blockbuster-Ausstellungen, der Garant für hohe Besucherzahlen, vereinnahmt die Aufmerksamkeit der Medien. Innovation und Zeitgenossenschaft sieht anders aus.

Und der Kunstmarkt, d.h. die Galerien und Museen, interessieren sich überwiegend für die „großen“, eingeführten Namen der Gegenwart. Es gibt immer weniger Galerien, die dem ökonomischen Druck standhalten. Ihnen stehen jedoch immer mehr Absolventen der Kunsthochschulen gegenüber, also immer mehr künftig professionelle Kunstschaffende.

Kommunale Träger öffnen zunehmend den Amateurkünstlern ihre Pforten in der Hoffnung auf höhere Besucherzahlen. Selbst für viele Verantwortliche in den Kulturämtern ist es schwer, Originales von Nachahmung, Qualität von Nichtqualität zu unterscheiden. Obendrein locken bekannte Gesichter aus der Film- und Musikbranche als Konterfei in Öl oder gar als Protagonisten ihrer neuen Hobbys. Hat da der Kunstunterricht in den Schulen versagt, wenn es den überhaupt hinreichend gibt? Kulturpolitik als Eventmaschine, als Flucht ins Populäre.

Kunst auf der Sinnsuche, die sich den Problemstellungen unserer Gegenwart widmet, die Kunst mit geringerem Deko- oder Anlagewert tut sich erst recht schwer mit der Erreichbarkeit von Publikum. Zitat: „Kunst ist für mich vor allem eins: Spaß. Ich surfe auf einer großen Spaßwelle.“ Oder: „Ein paar Jahre ungebunden zu sein und durch die Kunstwelt zu tingeln, das wäre schon was.“ Das sind Zitate aus einer großen Amateurkunstausstellungsbesprechung einer deutschen Tageszeitung. Welche Anmaßung und welche Verkennung geistiger und oft körperlicher Schwerstarbeit künstlerischen Schaffens hier auch durch das Medium Zeitung.

Schließlich gibt es noch die aktuellen Herausforderungen um unsere offene, demokratische Kultur im Lande, um die Themen Nachhaltigkeit, Diversität, Klima usw.. Wie umgehen mit der Bedrohung liberaler und engagierter Positionen durch nationalistische und reaktionär rückwärts gewandte Denke?

Kunst als streitbares, empathisches, wirklich soziales Medium ist gefragt, Kunst die Hoffnung macht, die immer noch an die Zukunft glaubt in einer Gesellschaft, die als gespalten bezeichnet wird.

Kunstproduktion heute, realistisch betrachtet, findet statt zwischen Selbstausbeutung und Selbstermächtigung, zwischen Sinnsuche und Selbsttherapie und ökonomischer Überlebensstrategie.

Es gibt viele Überlegungen zur Überwindung des isolationistischen Modells des/der einsamen Kreativschaffenden, die sich obendrein im Ehrenamt verbrennen: eine Neuauflage des Modells Künstlerkollektiv, die Bildung von Ateliergemeinschaften, Projekt- und Prozessorientierte Zusammenarbeit, und manch andere Versuche die traditionellen Vereinsstrukturen hinter sich zu lassen.

Wie kann das also gehen? Um der „Polykrise“ der Kunst, der Gesellschaft, in der wir Kunst zu machen versuchen, zu begegnen? Jedenfalls nicht, ohne daß die Alten und die Jungen, also generationsübergreifend, sich gegenseitig wahrnehmen, noch enger zusammenarbeiten und neue Wege und ambitionierte Modelle ausprobieren.

Der Vorstand der AKM hat aus Anlass des Jubiläums („75 Jahre“) eine große Zahl von Studierenden aus verschiedenen Hochschulen von Mainz bis Düsseldorf mit zur Ausstellung eingeladen, so daß insgesamt 56 künstlerische Positionen der Gegenwart von ganz jungen und eben auch älteren Künstlerkolleginnen und -Kollegen gezeigt werden können. Ein bescheidener aber zukunftsweisender Schritt – die nächsten Jahrzehnte AKM können also angegangen werden…